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Waschanlage macht aus Schmutzfilmen saubere Kunst

Lesedauer: 6 Minuten
Waschanlage macht aus Schmutzfilmen saubere Kunst

Das Unternehmen Mediabox hat sich darauf spezialisiert, Filme fachgerecht zu lagern und zu reinigen. Mit jahrzehntelanger Erfahrung und Erfindergeist bewahrt es wertvolles Kulturgut vor dem Verfall. Bei der Anpassung der neuen Filmwaschanlage tüftelten Experten von Ludwig Meister mit.

 

Mehr als ein halbes Jahrhundert Filmgeschichte ruht in Feldkirchen, östlich von München. Auf zwei Etagen stapeln sich in einer Lagerhalle 215.000 Filmrollen und -kassetten, sorgfältig eingeschweißt und sortiert. Die Temperatur liegt konstant bei schattigen 19 Grad. Nichts überlässt Wolfgang Balga, Gründer und Chef der Mediabox, dem Zufall. Denn Vorsicht ist geboten, wie er aus leidvoller Erfahrung weiß. Einen schlecht gelagerten Film erkennt er beim Abspielen unter anderem an weißen Flecken, Schrammen und Farbfehlern. „Das bedeutet bei der Retusche schnell einen riesigen Aufwand“, erläutert Balga, „schließlich besteht ein Spielfilm im Schnitt aus 135.000 Bildern. Und an jedes fehlerhafte Bild muss der Retuscheur Hand anlegen.“

 

„Die kleinsten Fehler sieht man erst beim fünften oder sechsten Mal."           Wolfgang Balga, Gründer der Mediabox

Zahllose Stunden hat der aus Wien stammende Wahlbayer über alten Filmen gesessen, um sie wieder ansehnlich zu machen. „Die kleinsten Fehler sieht man erst beim fünften oder sechsten Mal“, sagt Balga, die Wiederaufbereitung eines beschädigten Films grenze daher mitunter an Sisyphusarbeit. Nicht nur einmal ärgerte sich Balga während seiner Arbeit als Filmbearbeiter über Menschen und Unternehmen, die ihre Filmrollen in feuchten Studiokellern verschimmeln lassen oder auf staubigen Dachböden lagern. „Das kann man doch besser machen“, dachte er sich und gründete um die Jahrtausendwende herum die Mediabox.

 

Wolfgang Balga und sein Mitarbeiter Albert Schwarzenbeck

 

Mit dem nötigen technischen Wissen und reichlich Praxiserfahrung baute Balga ein kleines Team auf, mietete die Lagerhalle in Feldkirchen und machte aus ihr ein Lager, das bis zu 170.000 Filme fasst. „Der Anfang lief schleppend“, erinnert sich Balga. „Als zu Beginn nur wenige Regale gefüllt waren, dachten wir schon darüber nach, eine Indoor-Kartbahn in der Halle zu eröffnen.“ Wenig später klopfte ein großer Filmhändler an, brachte Teile seines Bestandes in der Mediabox unter und den Stein damit ins Rollen. Das war vor rund 15 Jahren. Zwar läuft bei modernen Filmproduktionen mittlerweile fast alles digital ab, der Bedarf an fachgerechter Filmlagerung für ältere Streifen ist aber nach wie vor groß. „Bis die alten Bestände völlig digitalisiert sein werden, vergeht noch viel Zeit“, sagt Albert Schwarzenbeck, Mitarbeiter der Mediabox. Er nimmt neue Filme oder Videobänder zur Lagerung entgegen, schweißt und sortiert sie ein. „Wenn jemand den Film wieder braucht, holen wir ihn aus dem Lager und schicken ihn raus, zum Beispiel an einen Verleih oder einen Sender“, erläutert Schwarzenbeck das Prozedere.

 

Problemlösung, die sich dann als Marktlücke offenbart hat.

Große Cineasten sind beide nicht. Sie sehen Filme vor allem von der technischen Seite. „Ich habe zwar früher schon Urlaubsfilme auf 8-mm-Film gedreht und gerne fotografiert“, erzählt Balga, „aber
was die Lagerung angeht, habe ich vor allem nach einer Problemlösung gesucht, die sich dann als Marktlücke offenbart hat.“
Mit diesem Riecher kam der gewiefte Geschäftsmann auch auf seine neueste Idee: die Filmwaschanlage. „Damit reinigen wir schlecht gelagerte Filme von Schmutz, Schimmel und Essigsyndrom“, erläutert Balga. Dieser bildet sich, wenn ein Azetat-Film über einen längeren Zeitraum Feuchtigkeit ausgesetzt ist. Der Filmexperte hat die wissenschaftliche Erklärung gleich parat: „Der Filmstreifen bis Mitte der 1980er Jahre besteht aus Azetat. Ab den 90er Jahren wurden bis heute ausschließlich Träger aus Polyester verwendet. Diesem Material kann Feuchtigkeit weniger anhaben. Die oberste Schicht jedoch ist aus Gelatine und somit organisch.“
Die Folgen schlechter Lagerung sind fatal. In feuchter Umgebung vermehren sich Bakterien und zersetzen die Gelatineschicht. Bei Azetatfilmen sinkt der pH-Wert von neutralen 6,0 auf saure Werte bis unter 4,0, der Film riecht streng nach Essig und löst sich auf. Die oberste Schicht löst sich auf, der Träger wird zerstört. 
In der Waschanlage, einer FC 4000 aus den USA, kommt der pH-Wert wieder in für den Film gesunde Bereiche. Die Waschanlage ähnelt dabei weniger einer Wasch- oder Spülmaschine im Haushalt, sondern erinnert eher an die senkrecht aufgestellte, in einem mächtigen Schrank untergebrachte Miniatur eines Fließbands. Um einen Film zu waschen, spannt Schwarzenbeck die Filmrolle ein und schickt den Streifen, Bild für Bild, auf die Reise durch die Waschanlage. Die eigentliche Wäsche erfolgt in zwei Schritten. Beidseitig angebrachte Düsen bespritzen den Film mit basischem Wasser (pH-Wert 8,3), feine Bürsten entfernen Schmutz, Staub und Schimmel. Danach durchläuft der Film über mehrere Rollen die Trockenkammer. Nach einigen Minuten bei 35 Grad Celsius ist der Film trocken und wird aufgewickelt.

 

Wolfgang Balga vor einer seiner zwei von Ludwig Meister "getunten" Maschinen

 

"So eine Maschine hatte ich vorher noch nie gesehen." 
Erhard Maierthaler, Antriebstechnik Ludwig Meister                                       

Balga importierte die Waschanlage, Baujahr 2008, aus den Staaten. Ehe sie ihren Dienst in Feldkirchen antreten konnte, mussten die Tüftler von der Mediabox sie umbauen. „Ursprünglich ist sie für 35-mm-Filme ausgelegt gewesen und spulte einheitlich 40 Meter Film pro Minute ab“, sagt Balga. „Wir arbeiten jedoch auch mit dem empfindlicheren 16mm-Film und haben es häufig mit starken Verschmutzungen zu tun. Daher müssen wir die Geschwindigkeit senken und individuell steuern können.“ Für den Umbau der Waschanlage holte sich Balga Hilfe bei Ludwig Meister. Erhard Maierthaler, Vertriebsmitarbeiter der Antriebstechnik, erinnert sich an die nicht alltägliche Anfrage: „So eine Maschine hatte ich vorher noch nie gesehen. Um das Getriebeumzubauen, mussten wir schon ein wenig basteln.“ Das Problem: In so geringer Stückzahl vertreiben nur wenige Hersteller solche Spezialteile.

 

215.000 Filmrollen und -kassetten, sorgfältig eingeschweißt und sortiert 

 

Einfach googeln reicht da nicht.

Maierthaler zapfte also das weitverzweigte Netzwerk von Ludwig Meister an und wurde bei einem Händler in Italien fündig. „Einfach googeln reicht da nicht“, sagt Maierthaler, „da muss man sich schon ein wenig auskennen.“ Seit Februar 2019 ist die Filmwaschanlage im Feldkirchener Filmarchiv im Einsatz. Mittlerweile hat die Mediabox eine zweite Waschanlage angeschafft – der Bedarf ist also da. Kaum zu glauben, dass Wolfgang Balga keinen Lieblingsfilm hat. Auf wiederholte Nachfrage fällt ihm dann doch einer ein: „Der dritte Mann“ von 1949. Allerdings nicht nur wegen der Handlung, wie Balga erläutert: „Wir hatten eine Kopie von 1964 zur Bearbeitung. Die war in solch einem Zustand, dass wir viele Stunden damit beschäftigt waren, sie von den Schrammen und Schmutz zu befreien.“

Mit modernen Bearbeitungsprogrammen und seiner Waschanlage würde er heute viel Zeit in der weiteren Nachbearbeitung sparen.

 

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